Visionssuchen/Vision Fasts

Übergänge im Leben und Sterben

Visionssuche - was ist das?


"Die Visionssuche ist ein in vielen Kulturen verbreiteter Ritus zur Gestaltung von Lebensübergängen. Im Kern geht es darum, sich - bei guter Vorbereitung und mit angemessener Nachbereitung - drei oder vier Tage und Nächte unter freiwilliger Befolgung einiger Tabus (Alleinsein, Fasten, keine feste Behausung) in der Natur aufzuhalten.“


Übergänge, Prozesse der Wandlung und Verwandlung, finden wir überall und jederzeit im Mikro- und Makrokosmos. Geburt, Kindheit, Erwachsenwerden, Lebensmitte, Alter und Tod sind solche tiefgreifenden Veränderungen, denen wir uns nicht entziehen können. Schwangerschaft, Schulabschluss, Eintritt ins Berufsleben, Eheschließung, Krankheit, Tod eines nahestehenden Menschen, Trennung, Umzug, Beendigung des Berufslebens, spirituelle Krisen und andere Zeiten des Wandels fordern uns heraus, unser Leben neu zu betrachten und zu gestalten. Der Wandel scheint die einzige verlässliche Konstante in unserem Leben zu sein.


Bis vor nicht allzu langer Zeit wurden die wesentlichen dieser Übergangssituationen kompetent begleitet. Der Weg vom Jüngling zum Mann, vom Mädchen zur Frau; der Weg vom Erwachsenen zum Ältesten; die Reise in den Tod. Eingebettet in für die Gemeinschaft verbindliche Mythen lag in der Initiation - im Außen die Erlangung eines sozial veränderten Status - die für den Erhalt der Gemeinschaft unverzichtbare Entwicklung und Reifung des Einzelnen.


"Wer innehält, erhält Innen Halt." Doch das Wissen um die Möglichkeiten von rituellen Räumen, von Entschleunigung, Initiation und kontemplativer Selbstreflektion ist verblichen. Die Möglichkeiten der vermeintlichen Verwirklichung unseres Selbst dagegen um ein Vielfaches gestiegen. Der Preis dieser "Freiheit" besteht in der ständigen Verantwortung, selbst herauszufinden, wer wir gerade sind, wie unser Auftrag auf diesem Planeten lautet, wonach sich unser Seelenhunger sehnt, wohin unserer nächster Schritt gehen soll? Das kann uns niemand abnehmen.


Viele der „alten“ Initiationen beinhalteten den Rückzug des Initianden in die Wildnis, die unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Selbst-So im Spiegel der Natur. Dieses Wissen steht uns auch heute zur Verfügung. Dem Leben zugewandte Menschen - Forscher, Pioniere und (Visions)Suchende – haben dazu beigetragen, diesen Schatz in unsere Zeit hinüberzutragen und uns zugänglich zu machen. Nicht im Sinne einer endgültigen Wahrheitsfindung oder einer romantisierenden Rückschritt-lichkeit, sondern unter dem Aspekt evolutionärer Integration verlorener Anteile unseres Selbst - und das unter höchst lebenspraktischen Gesichtspunkten. Wie Ken Wilber es formulieren könnte: Transrational, nicht prärational.


Was steht gerade bei mir an? Geht es um eine Beziehung im Außen: eine Person, eine Gruppe, einen Job, eine Pflicht, eine Ausbildung? Oder ist es etwas in meinem Inneren, das mich momentan bewegt: ein ungelöstes Gefühl, Unsicherheit, spürbare, doch noch verborgene Heilungsimpulse, der Wunsch nach Hinwendung oder ein altes inneres Gesetz, eine Überlebensstrategie, dasoder die anerkannt und außer Kraft gesetzt werden muss? Was will bestätigt, was will gelöst werden? Was will in mir sterben, was taugt nicht mehr? Was will neu geboren, neu gelebt werden? Im "rasenden Stillstand" unseres Alltags ist die Chance, dass diese Fragen gehört werden, gering, geschweige denn, dass sich die Antworten zeigen.


Ablauf


Die ersten Tage der Visionssuche gelten der Vorbereitung in der Gruppe. Es ist die Ablösungsphase. Konzepte, Selbstdefinitionen, vertraute Wahrheiten tauchen in neuem Licht auf. Die Zeit dient der Bestandsaufnahme des Selbst.


Der Kern der Visionssuchezeit, die Schwellenzeit, sind drei oder vier Tage und Nächte, die allein  und fastend in der Wildnis, der Natur, verbracht werden. Diese "Anbindung verwurzelt Entwurzelte, nährt vom Leben Unterernährte, schenkt Vertrauen den Angstvollen und schafft Frieden in sich selbst." (Stefan Wolff)


Mit ihrer/seiner Geschichte kehrt der/die Visionssuchende in den Kreis der Gruppe zurück. Ihre/seine Geschichte wird gewürdigt und erfährt in dieser Integrationsphase die soziale Anerkennung.


Das Schlusswort mag Joseph Beuys haben mit Zeilen aus seinem Gedicht "How to be an artist":


"...Öffne Dich, tauche ein, sei frei.

Preise Dich selbst. Lass die Angst fallen.

Spiele mit Allem. Unterhalte das Kind in Dir.

Du bist unschuldig.

Baue eine Burg aus Decken.

Werde nass. Umarme Bäume..."